- Chemienobelpreis 1957: Alexander Robertus Todd
- Chemienobelpreis 1957: Alexander Robertus ToddDer britische Chemiker Alexander Robertus Todd erhielt den Nobelpreis für »seine Arbeiten auf dem Gebiet der Nucleotidcoenzyme und der Nucleotide«.Sir (seit 1954) Alexander Robertus Todd, Baron of Trumpington (seit 1962), * Glasgow 2. 10. 1907, ✝ Cambridge 10. 1. 1997; 1938 Professor und Direktor der Chemischen Institute Manchester, 1944 Lehrstuhl an der Universität Cambridge, 1952-64 Vorsitzender des Advisory Council on Scientific Policy, 1975-80 Präsident der Royal Society, der ältesten britischen Wissenschaftsakademie.Würdigung der preisgekrönten LeistungObwohl der Schweizer Physiologe Friedrich Miescher schon 1869 in den Zellkernen von Fischspermien und Eiterzellen Nucleinsäuren entdeckte, erwies sich die Strukturaufklärung dieser chemischen Verbindungen als ein langfristiges Unternehmen. Viele Jahrzehnte wurden die Nucleinsäuren nur von wenigen Chemikern erforscht und ihre zentrale biologische Bedeutung blieb lange Zeit im Dunkeln.Ein wichtiger ImpulsAls 1944 von dem kanadischen Bakteriologen Oswald Theodore Avery publizierte Forschungsergebnisse zeigten, dass erbliche Eigenschaften durch reine Desoxyribonucleinsäure von einer Bakterienzelle auf eine andere übertragen werden können, war diese grundlegende Erkenntnis für den organischen Chemiker Todd ein großer Impuls, sich verstärkt mit der chemischen Struktur von Nucleinsäuren zu beschäftigen. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wusste man, dass sich diese chemischen Verbindungen aus einfacheren Bausteinen, den Mononucleotiden aufbauen. Ungelöste oder nur teilweise gelöste Forschungsfragen der Nucleotidchemie waren in den 1940er-Jahren folgende: Wie sind die Bestandteile der Nucleotide, nämlich die Zucker Ribose beziehungsweise Desoxyribose, Phosphorsäure und bestimmte heterocyclische Stickstoffbasen wie Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin und Uracil in den Nucleotiden miteinander verbunden? Wie sind die Mononucleotide miteinander zu höheren Nucleotiden verbunden? Ist die so genannte Tetranucleotidtheorie von dem Biochemiker und Pionier der Nucleinsäureforschung Phoebus Levene richtig, nach der es sich bei den Nucleinsäuren um kolloidale Aggregate von wenigen Tetranucleotidbausteinen handeln soll? Wie kann man Nucleotide und deren Vorstufen, die Nucleoside, synthetisieren? Da es sich bei den Nucleotiden um Phosphate der Nucleoside handelt, wurde die Einführung von Phosphatgruppen (Phosphorylierung) in die Nucleoside eine zentrale Synthesefrage. Diesen Problemen begann sich Todd ab 1938 in Manchester zu widmen. Der Zweite Weltkrieg durchkreuzte Todds Forschungspläne. Wie viele andere Forscher auch, leistete er seinen Beitrag zur militärischen Stärkung seines Heimatlands. Seine Aktivitäten bezogen sich auf die Mitwirkung an Projekten der chemischen Kriegführung, aber auch auf die Gewinnung des gegen Infektionskrankheiten hochwirksamen Arzneimittels Penicillin.Das Forschungsinteresse Todds an Nucleotiden war durch seine Beschäftigung mit Nucleotidcoenzymen geweckt worden. Während es sich bei Enzymen im Allgemeinen um hochmolekulare Proteine handelt, stellen Coenzyme niedermolekulare Verbindungen dar. Dabei kann es sich beispielsweise um Vitamine oder Nucleotide handeln. Diese Coenzyme sind mit Enzymen assoziiert und sind für die Entfaltung der Wirkung eines Enzyms notwendig. Sie sind wichtige Bestandteile von Enzymsystemen, die mit Stoffwechselprozessen verbunden sind. Die in den Nucleotidcoenzymen vorkommenden Nucleotide veranlassten Todd, sich mit dieser Substanzklasse näher zu befassen.Was die von Todd angestrebten Synthesen von Nucleotiden anging, so führte er umfangreiche Untersuchungen durch, um passende Methoden der Phosphorylierung zu finden. Neue Phosphorylierungsmethoden ermöglichten es ihm, alle theoretisch möglichen Nucleotide, die sich von natürlichen Nucleosiden ableiteten, zu synthetisieren. Ihm gelang erstmals, das generell bei Lebensvorgängen als Energieüberträger fungierende Adenosin-5'-triphosphat (ATP) zu synthetisieren.Was sind Nucleinsäuren? Todds AntwortSolche Arbeiten waren die Voraussetzung dafür, dass die genaue Strukturaufklärung der wesentlich komplizierteren Nucleinsäuren in Angriff genommen werden konnte. Die Strukturaufklärung von Nucleinsäuren durch Todd gipfelte 1951 in der Erkenntnis, dass es sich bei den zwei Kategorien der Nucleinsäuren, den Ribonucleinsäuren und den Desoxyribonucleinsäuren, um lineare Makromoleküle, um so genannte 3',5'-Polynucleotide, handelt. Die hohen Molekulargewichte von 500 000 bis 1 000 000 der makromolekularen Nucleinsäuren waren von anderen Forschern mithilfe physikalischer Methoden nachgewiesen worden. Todd hatte durch seine Untersuchungen dazu beigetragen, die so genannte chemische Konstitution oder die Primärstruktur von Nucleinsäuren genau aufzuklären.Die Arbeiten von Todd führten zum Sturz der Leveneschen Tetranucleotidtheorie. Obwohl Todd sich der großen Bedeutung von Desoxyribonucleinsäuren bei Vererbungsprozessen bewusst war, ging er der genetischen Frage, warum gerade diese langen Polynucleotidketten einen Vererbungsmechanismus ermöglichen sollten, nicht nach. In seiner Autobiografie stellte er dazu fest: »Ich wusste natürlich, dass das Desoxyribonucleinsäuremolekül einen gewissen Code enthalten musste, wenn es befähigt war, erbliche Eigenschaften zu übertragen, aber auf eine oberflächliche Weise zurückhaltend, habe ich die Sache nie sehr ernsthaft betrachtet.«Watson und Crick bauen auf Todds Erkenntnissen aufDie Frage nach dem Vererbungsmechanismus griffen Anfang der 1950er-Jahre zwei junge Forscher auf, der US-Amerikaner James D. Watson und der Brite Francis Crick, die in unmittelbarer Nachbarschaft von Todd, im Cavendish Laboratory der Universität Cambridge, arbeiteten. Sie leisteten 1953 durch die Aufklärung der räumlichen Struktur von Desoxyribonucleinsäuren, der Doppelhelixstruktur, einen grundlegenden Beitrag zur Aufklärung dieses Mechanismus und begründeten damit ihren Weltruhm (Nobelpreis für Medizin 1962, zusammen mit Wilkins). Wesentliche Voraussetzung für deren Erfolg waren die Forschungsergebnisse von Todd über die Primärstruktur von Nucleinsäuren. Mit diesen chemischen Erkenntnissen zur Vererbung begann eine stürmische Entwicklung der Molekularbiologie und der Biotechnologie. Man kam zu dem Schluss, dass bestimmte Abschnitte der Desoxyribonucleinsäuren Gene darstellen, die als Matrizen für die Synthese von Ribonucleinsäuren dienen, die wiederum die Synthese der lebensnotwendigen Proteine bewerkstelligen.Mit seinen Forschungen zu Nucleotiden und Nucleotidcoenzymen hat Todd wesentliche Grundlagen für das Verständnis von Lebensvorgängen wie Vererbung und Stoffwechsel auf der molekularen Ebene geschaffen. Alle modernen Entwicklungen der Gentechnik wie zum Beispiel die gentechnische Herstellung von Arzneimitteln oder die Gentherapie haben als Ausgangspunkt Gene beziehungsweise Genfragmente und somit Polynucleotide.A. Neubauer
Universal-Lexikon. 2012.